Von Andreas Warausch Es wird nicht nur die Sprache gelernt

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Es wird nicht nur die Sprache gelernt
Von Andreas Warausch

Die Deutschkurse der Nürtinger Volkshochschule gibt es seit 30 Jahren – Sie sollen auch einen Leitfaden zur Integration geben
Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Natürlich auch für die vielen Flüchtlinge, die zu uns kommen. In Nürtingen weiß man das schon lange. Die Volkshochschule bietet seit 30 Jahren Deutschkurse an
NÜRTINGEN. „Das Lernen der Sprache ist ein zentraler Baustein bei der Integration“, sagt Bürgermeisterin Claudia Grau. Die Bereitstellung solch eines Angebots spiele für die Nürtinger Volkshochschule eine wichtige Rolle. Bei den Integrationskursen gehe es aber auch um die Vermittlung der Werteordnung und des Rechtswesens. Claudia Grau: „Wir wollen den Menschen eine gute Starthilfe geben.“
Dabei bedient die Nürtinger VHS auch die Fläche: Kurse gibt es in den Außenstellen. In Großbettlingen, Oberboihingen, Neuffen. Auch da gehen die Teilnehmerzahlen weiter nach oben. Das sei nicht unbedingt üblich, erklärt VHS-Chefin Susanne Ackermann. Stolz verweist sie auf die lange Tradition, die die Integrationskurse der Nürtinger VHS haben. Seit zehn Jahren werden solche Kurse mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angeboten. In Nürtingen aber ist man auf diesem Gebiet schon seit 30 Jahren rege tätig.
Der Trend ist – beinahe möchte man sagen natürlich – ungebrochen. Susanne Ackermann: „Die Kurse waren uns schon immer wichtig. Aber zuletzt hat ihre Bedeutung immens zugenommen.“ Denn die Kurszahlen hätten sich verdoppelt. Deshalb müsse man sich personell verstärken. Bei den Kursleitern. Aber auch in der Verwaltung. Denn die Beratung und das Ausloten von Fördermitteln seien sehr wichtig.
In Nürtingen werden dabei verschiedenste Kurse angeboten. Das beginnt bei der Alphabetisierung. Und geht bis zur Vermittlung sprachlicher Kenntnisse für ein Hochschulstudium. Trotz des Andrangs sei man gut aufgestellt in Nürtingen. Mit Verstärkungen und dem Ausschöpfen von Bundesmitteln könne man auch ankommenden Flüchtlingen ein professionelles Sprachangebot machen, glaubt die VHS-Leiterin.
Der für die Integrationskurse zuständige Fachbereichsleiter ist Peter Sindlinger. Er berichtet vom Portefolio der VHS: Im täglichen Schulbetrieb biete man nun zehn Integrationskurse und zwei Alphabetisierungskurse an. Drei bis vier von der Bundesagentur für Arbeit unterstützte Kurse kämen in diesen Tagen dazu. Bis April oder Mai sollen den Teilnehmern in 300 Kursstunden die Voraussetzungen für die Teilnahme an normalen Integrationskursen vermittelt werden. Da sind auch junge Männer aus der Flüchtlingsunterkunft vom Säer dabei. Sie kommen aus dem Iran, dem Irak, aus Syrien oder Eritrea. Von der Landesregierung aufgelegt wurde auch das Programm „Chancen gestalten“. In Grund- und Aufbaukurs mit Praktikumsmöglichkeiten soll den Teilnehmern Einstiegsmöglichkeiten in die Berufswelt geschaffen werden.
Dabei werden die Kurse in sechs Stufen eingeteilt. Im September begonnen hat zum Beispiel einer, der mit einer Prüfung endet. Die Teilnehmer dieses Kurses arbeiten schon, sagt Peter Sindlinger. Sie kommen dann in der Woche an zwei Abenden und am Samstag jeweils für vier Stunden an die Volkshochschule. Peter Sindlinger: „Die sind wirklich sehr motiviert.“
Aber auch die Kursleiter sind mit Feuereifer und voller Überzeugung bei der Sache. Einer von ihnen ist Fahmi Wiedmann. „Ich gehe auf dem Zahnfleisch“, berichtet er vom zuletzt sehr hohen Arbeitsaufkommen. Er gibt viele Kurse, berät aber auch außerhalb der Schule. Wiedmann: „Ich bin Ansprechpartner für alle Lebenslagen.“
In den Sprachkursen wird auch die deutsche Geschichte thematisiert
„Ich versuche den Menschen klarzumachen: Die Sprache ist der Schlüssel zu eurer Integration“, sagt Wiedmann. Und der Lehrer, Dolmetscher und Übersetzer weiß, von was er spricht: Er stammt aus Syrien, ist seit 35 Jahren hier. Deshalb erklärt er seinen Schülern immer wieder viel von seinem Leben, erzählt von der Situation, wie sie sich auch ihm damals dargeboten hat. Wiedmann: „Ich will ihnen den Weg zeigen.“ Dabei dürfe man ihnen nicht nur das Blaue vom Himmel versprechen, dürfe ihnen nicht erzählen, es sei hier alles wunderbar.
Wiedmann gibt Einblick in seine Kurse. 600 Stunden geht es um die Sprache, 60 Orientierungsstunden kommen dazu. Da geht es dann auch um die deutsche Geschichte, um den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. Die Rolle von Mann und Frau in unserer Gesellschaft wird erklärt. Die Schüler sollen Land und Kultur besser verstehen können. Redewendungen werden eingebaut.
Und in einem Crashkurs? Da soll ein Leitfaden gegeben werden. Was ist wichtig in Deutschland? Fahmi Wiedmann hält nicht viel davon, nur das Grundgesetz zu übersetzen. Eher sollte man den Flüchtlingen zum Beispiel klarmachen, was die Kehrwoche ist. „Die kommen in eine total andere Kultur“, hält er fest. Für viele sei das ein Schock. In Schweden sei es für Neuankömmlinge einfacher, denn da gebe es auf jedem Rathaus einen Übersetzer. Dabei kann Bürgermeisterin Grau schon darauf verweisen, dass man in Nürtingen einen Dolmetscherpool aufbaue.
Für Wiedmann ist wichtig, dass in Nürtingen auch noch nicht anerkannte Flüchtlinge Sprachkurse belegen können. Die VHS teilt sich dann die Kosten mit Sponsoren, die Teilnehmer müssen selbst etwas beitragen. Wiedmann: „So holen wir die Menschen von der Straße.“
Das lobt auch Ahmad Jomaa. Der 26-Jährige kam vor eineinhalb Jahren aus Syrien. In der Heimat, vor der Flucht, hatte er Pharmazie studiert. Das will er hier auch wieder tun. Es ist sein Traum. Mehr als das. Sein großes Ziel. Die Sprachkurse an der VHS sollen ihn dazu befähigen. „Wir brauchen Unterstützung“, sagt er. Fahmi Wiedmann und die anderen Lehrer hätten ihm viel geholfen.
Ahmad Jomaa hat mit anderen zusammen eine Wohnung gefunden. Aber klar, er träumt auch von einer Wohnung für sich allein. Aber für ihn als Ausländer sei es schwer, eine zu finden.
Für sein großes Ziel aber, das Weiterführen seines Pharmaziestudiums in Tübingen, kann ihm Fachbereichsleiter Sindlinger Mut machen: „Ich kenne viele, die das geschafft haben.“ Dazu brauche es viel eigene Motivation, ergänzt Claudia Grau lobend. Dabei – und da sind sich alle Beteiligten einig – könne man in einem Kurs die Sprache nur zum Teil lernen. Von 20 bis 30 Prozent geht Fahmi Wiedmann aus: „Den Rest lernen sie draußen.“ Da muss man auf Menschen zugehen. Muss sich unterhalten. Muss offen sein. Überhaupt: Auf einander zuzugehen, das heißt Integration. Ahmad Jomaa sagt, dass die Ausländer und die Deutschen etwas geben müssten. In der Mitte treffe man sich dann.
Das weiß auch Yvonne Beiß von der Fachbereichsleitung der VHS. Sie hat im Sommer einen Kurs „Talent-Campus“ im Rahmen des Bundesprogramms „Kultur macht stark“ gegeben. Da lernten Jugendliche, die zum Teil erst ein Vierteljahr da waren, morgens deutsch – und nachmittags ging’s raus ins pralle Leben. Zu Aktivitäten wie einem Theaterprojekt oder einer Stadtrallye. Da mussten die Teilnehmer auch Deutsche ansprechen. Yvonne Beiß: „Dabei konnten sie in der Gruppe Vertrauen und Selbstbewusstsein entwickeln.“
Und das ist wichtig. Denn viele kleine Bausteine führten zur Integration, sagt Bürgermeisterin Grau. Wie bei einem Zahnrad. Und dabei müssten sich auch die Deutschen bewegen.

Freundliche Grüße


Redaktion


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Am 25.11.2015 um 09:23 schrieb Peter Sindlinger: